DEZIM-Talk

Am 13. November 2025 fand der DEZIM-Talk zum Thema „Lebens- und Arbeitsbedingungen international angeworbener Pflegekräfte“ statt. Es wurde erneut deutlich, wie vielschichtig und sensibel die Gewinnung von Pflegefachkräften aus dem Ausland ist. Fachkräfteanwerbung ist weit mehr als Vertragsunterlagen, Visa-Prozesse oder Qualifikationsanerkennung – der Erfolg entscheidet sich vor allem an den „softeren“ und zwischenmenschlichen Faktoren.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse

1. „Soft Skills“ sind harte Realität

Was international angeworbene Pflegekräfte wirklich brauchen, ist kein schneller Einsatz im Dienstplan, sondern:

  • Wohlfühlen am Arbeitsplatz

  • Emotionale Anbindung

  • Unterstützung beim Ankommen

Der DEZIM-Talk hat gezeigt: Wer sich willkommen, gesehen und respektiert fühlt, bleibt langfristig – und entwickelt sich.

2. Was bedeutet eigentlich „Fachkräfteanwerbung“?

Viele Einrichtungen denken bei Anwerbung vor allem an die Gewinnung von Köpfen. Aber echte Fachkräfteanwerbung heißt:

  • Menschen gewinnen

  • Menschen befähigen

  • Menschen integrieren

Eine Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag ist erst der Anfang, nicht das Ziel.

3. Realistische Erwartungshaltung – keine Einsatzfähigkeit „ab Tag 1“

Ein zentrales Highlight der Diskussion: Die Erwartung, dass internationale Pflegefachkräfte nach Einreise sofort voll einsetzbar sind, ist unrealistisch. Stattdessen braucht es Übergangs- und Orientierungszeiten mit fachlicher und kultureller Begleitung. Wichtig ist auch eine kontinuierliche Kommunikation, damit Missverständnisse erst gar nicht „groß“ werden und Vertrauen dadurch verschütt geht. Regelmäßige Check-Ins nehmen Druck von den Neuankömmlingen und beugen Frust vor – auf allen Seiten.

4. Adaption ist kein „Nice to Have“, sondern Teil der Strategie

Die Adoptionsphase – die Zeit, in der internationale Fachkräfte in das deutsche Pflegesystem hineinwachsen – muss aktiv geplant werden. Das bedeutet, dass die Personalplanung aktiv Zeit berücksichtigt, in der Menschen tatsächlich „ankommen“. D.h. Zeit für Ausschlafen von Jetlag, Behördengänge, erstes Kennenlernen auf der Arbeit etc. Auch eine verlängerte Einarbeitungsphase gehört dazu – denn Ankommen bedeutet bei internationalen Pflegekräften nicht nur Ankommen im Job und im Team, sondern auch im neuen Land. Wichtig dabei ist, auch das Bestandsteam frühzeitig auf die neuen Kolleg*innen anzusprechen. Anwerbung funktioniert nur nachhaltig, wenn Integration von Beginn an als zentraler Baustein gedacht wird.

5. Wichtige Erkenntnisse aus zwei aktuellen DeZIM-Studien

a) „Willkommen in der Pflege?“

Diese Studie des DeZIM-Instituts beleuchtet die Perspektiven von Pflegefachkräften aus Drittstaaten im Bundesland Baden-Württemberg.

  • Analyse von Ankommen und Bleiben: Welche Hürden bestehen für ausländische Pflegekräfte – sowohl strukturell als auch sozial.

  • Ergebnis: Nur die Anwerbung reicht nicht, um langfristig Fachkräfte zu sichern.

  • Integration ist ein aktiver, mehrstufiger Prozess: Soziale Eingliederung muss begleitet werden, damit Pflegekräfte nicht nur kurzfristig bleiben, sondern sich verankern.

Diese Erkenntnisse untermauern genau, was im DEZIM-Talk diskutiert wurde: Wohlfühlen, Bindung und echtes „Ankommen“ sind nicht optional, sondern zentral für nachhaltige Anwerbung. Genau diese Faktoren benennen wir auch in unserem Fachratgeber zur Integration von Pflegekräften aus dem Ausland.

b) „Rassismus in der Pflege“

In diesem Policy Brief analysiert das DeZIM-Institut Rassismuserfahrungen, denen international angeworbene Pflegekräfte in Deutschland ausgesetzt sind.

  • Es gibt weit verbreitete Berichte von Diskriminierung, ungleichen Arbeitsbedingungen und restriktiven Verträgen, die auf strukturelle Herausforderungen hinweisen.

  • Der Brief plädiert für klar strukturierte Integrationsprozesse, aber auch für wirksame Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen vor Diskriminierung.

  • Ziel: Arbeitsrechte stärken, Abwanderung verringern und damit langfristig die Stabilität im Gesundheitssystem sichern.

Diese Studie macht deutlich: Soziale Bindung reicht nicht, wenn systemische Ungleichheiten nicht adressiert werden.

6. Unser Fazit

Internationale Fachkräfteanwerbung ist ein Gewinn – aber sie gelingt nur, wenn wir:

  • realistisch planen

  • soziale Aspekte ernst nehmen

  • Menschen nicht als „Lückenfüller“, sondern als neue Kolleg:innen begrüßen

  • Zeit, Struktur und Schutz für ein gutes Ankommen schaffen

  • aktiv gegen Diskriminierung vorgehen

Wenn Wohlfühlen, Bindung, Integration und Schutz vor Diskriminierung stimmen, entsteht genau das, was das deutsche Gesundheitssystem dringend braucht:

Fachkräfte, die nicht nur kommen, sondern bleiben.