Die ersten vier Pflegekräfte aus dem Ausland, die in der Seniorenresidenz „Glemstalblick“ im Einsatz waren, haben das Unternehmen nach kurzer Zeit wieder verlassen. Dann kam Youness Youssfi als neuer Einrichtungsleiter und hat sofort gesehen, was in Sachen Integration schief läuft. Im Interview mit context YELLOWS berichtet er über sein neues Onboarding- und Integrationskonzept und seine Vorstellung von guter Führung.
Inzwischen arbeiten sechs neue Pflegekräfte aus Vietnam, Brasilien, China und von den Philippinen bei uns, vier von ihnen wurden über context YELLOWS vermittelt. Sie kommen hier in ein Multi Kulti-Haus, in dem auch die Stammbelegschaft kulturelle Hintergründe aus aller Herren Länder mitbringt. Insgesamt sind in den Einrichtungen des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Region Stuttgart 69 ausländische Pflegekräfte beschäftigt.
Es war sehr frustrierend zu sehen, welcher Zeit- und Geldaufwand in die ersten vier ausländischen Pflegekräfte investiert worden war, ohne dass es sich nachhaltig gelohnt hätte. Mir war klar: Wir machen irgendwas falsch, das muss besser begleitet werden. Ich habe dann alles ganz neu aufgesetzt. Angefangen mit der Abholung vom Flughafen mit einem Shuttle Service über die möblierte und mit Besteck und anderem Haushaltszubehör ausgestattete Wohnung, die wir zur Verfügung stellen, bis hin zum Laptop, den die ausländischen Pflegekräfte von uns bekommen, damit sie im Anpassungskurs mitschreiben können.
Wir besorgen Verpflegung für die ersten zwei, drei Tage und begleiten die internationalen Mitarbeitenden bei Behördengängen, z.B. zur Ummeldung, und zur Kontoeröffnung bei der Bank. Die ersten Tage nach der Einreise haben sie frei, damit sie sich akklimatisieren können. Drei, vier Tage muss man ihnen schon geben, damit sie die Wege zwischen Einrichtung, Wohnung und Innenstadt üben und erste Kontakte mit Kolleg*innen knüpfen können. Vielleicht ergibt es sich, dass sie mit jemandem gemeinsam zur Arbeit gehen können?
Und das alles ist nur das Onboardingprogramm für die erste Woche. Ich vertraue da auf meine eigene Lebenserfahrung. Ich habe selber einen Migrationshintergrund und habe mich vom Pflegehelfer zur Pflegefachkraft und schließlich zur Einrichtungsleitung hochgearbeitet. Ich weiß, wo die Hürden liegen.
Die richtige Erwartungshaltung ist wichtig. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Arbeitsmigrant*innen vom ersten Tag an „spuren“, also genauso viel leisten wie langjährige Mitarbeitende. Sie brauchen viel Unterstützung. Sie kommen aus einer anderen Kultur, alle Abläufe sind neu für sie. Und selbst nach der bestandenen Prüfung fühlt es sich an, wie ins kalte Wasser geworfen zu werden, wenn man erstmals eigenverantwortlich mit Ärzt*innen telefonieren, sich mit Angehörigen auseinandersetzen und mit Bewohner*innen klarkommen muss. Viele internationale Mitarbeitende haben anfangs Angst davor und müssen auch nach der Anerkennung noch so lange begleitet werden, bis sie sicher sind, alleine klarzukommen.
Ich als Einrichtungsleiter kümmere mich gemeinsam mit der Pflegedienstleitung und einer Praxisanleiterin und gerontopsychiatrischen Fachkraft darum, dass regelmäßige Evaluationsgespräche durchgeführt werden: Was klappt schon gut, was noch nicht? Welche Sorgen gibt es? Auch mit der Bildungsstätte, in der der Anpassungskurs stattfindet, gibt es Gespräche mit den Pädagog*innen, einem Mitarbeitenden aus unserer Einrichtung und der ausländischen Pflegekraft. Und nicht zuletzt haben wir einmal die Woche eine interdisziplinäre Teambesprechung mit der Pflege, den Betreuungsassistent*innen, der Küche, der Hauswirtschaft. Auch da werden regelmäßig interkulturelle Themen diskutiert.
Oft geht es um die Sprachbarriere und auch kulturell bedingte Charaktermerkmale. Unsere asiatischen Pflegekräfte sind schüchtern, haben Probleme mit der Konfrontation und trauen sich oft nicht, nein zu sagen. Sie sagen immer „Ja und Amen“, auch wenn sie etwas nicht verstehen oder wenn ihnen etwas nicht passt. Wir müssen ihnen erst beibringen, dass man sich auch wehren darf und dass es jemanden gibt, an den sie sich wenden können. Die einheimischen Mitarbeitenden können sich auf unserer Fortbildungsplattform online auch zum Thema interkulturelle Kompetenz informieren. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in der sie Angebote für die neuen internationalen Kolleg*innen posten können. Der eine lädt mal zum Abendessen ein, die andere bietet privaten Deutschunterricht.
Leonberg ist zwar keine Großstadt, aber doch eine mittelgroße Stadt, in der es alles gibt, was man zum Leben braucht – einschließlich Freizeitmöglichkeiten. Nach Stuttgart sind es mit dem Auto auch nur 15 Minuten, mit dem öffentlichen Nahverkehr eine halbe Stunde. Wir bieten das Jobticket an. Insofern haben wir da nicht die Schwierigkeiten, die Einrichtungen in ländlichen Gebieten haben, Pflegekräfte zu halten.
Urlaub ist natürlich immer ein Thema. Unsere ausländischen Pflegekräfte möchten gerne vier, fünf Wochen am Stück nehmen, um in die Heimat zu fliegen. Und ich verstehe nicht, warum man das nicht möglich machen sollte. Dienstplantechnisch lässt es sich einrichten, die Wünsche der Stammbelegschaft werden ja auch so gut es geht berücksichtigt, und der Vorteil ist doch, dass die internationalen Mitarbeitenden den Rest des Jahres dann zum Arbeiten zur Verfügung stehen. Meist auch sehr gern. Aus Dankbarkeit dafür, dass wir ihnen den langen Heimaturlaub ermöglichen, melden sie sich freiwillig für Krankheitsvertretungen. Und das wird dann natürlich zusätzlich vergütet oder wir fragen sofort, welchen anderen Wunschtag man dafür frei haben möchte. Unser Ausfallmanagement wird in letzter Zeit immer besser, unser Krankenstand geht zurück. Wenn es viel Krankheit gibt, läuft immer irgendetwas schief, und dem muss man dann auf den Grund gehen.
Mit dem Urlaub machen wir es so, dass wir langfristig planen und einen Urlaubsplan aushängen, in den sich alle Pflegekräfte eintragen können. Sie sehen dann ja selbst, wenn sich etwas überschneidet, und gehen von ganz alleine miteinander ins Gespräch, um Kompromisse zu finden. Das ist mir sowieso sehr wichtig, dass meine Mitarbeitenden selber Lösungsvorschläge bringen. Und dass sie nicht nur an sich selbst denken. Wir müssen alle in dieselbe Richtung rudern, sonst kann das nicht funktionieren. Wenn man ihnen als Einrichtungsleiter die Möglichkeit gibt mit zu entscheiden, und nur im Konfliktfall eingreift, sorgt das langfristig für mehr Zufriedenheit.
Ja, ich erziehe meine Mitarbeitenden dazu, nicht in der Opferrolle zu verharren, nach dem Motto: Gegen den Pflegenotstand kann man sowieso nichts machen. Denn das stimmt nicht. Oft entstehen die besten Lösungsansätze aus einer vagen Idee, die jemand äußert, von dem man es am wenigsten erwartet hätte. Das lobe ich dann und vermittele: Jede Idee ist wertvoll! Wir hören uns alle Vorschläge an und entscheiden uns dann für den besten. Ein Pflegehelfer ist bei uns genauso wichtig wie die Pflegedienstleiterin – oder eben eine frisch eingetroffene Fachkraft aus dem Ausland.
Leider ist im Gesundheitswesen ein bestrafender Führungsstil noch weit verbreitet, der bei Problemen immer zuerst die Schuldfrage stellt. Bei uns wissen alle, dass sie für Fehler nicht verurteilt werden, sondern dass wir gemeinsam daraus lernen. Dass es nicht darauf ankommt, wer ein Problem verursacht hat, sondern wem der beste Lösungsansatz einfällt. Je mehr Probleme sie auf diese Weise gemeinsam lösen, desto besser kommen die Pflegeteams selbst zurecht. Ich glaube, dass meine Einrichtung dann am besten läuft, wenn sie auch ohne mich funktioniert. Gute Führung hängt nicht an einer Person, die Wissen hortet, sondern an Strukturen, die darauf ausgerichtet sind, dass alle mitmachen und am selben Strang ziehen.
Wir arbeiten auch noch mit einem anderen Personalvermittler zusammen, daher habe ich den direkten Vergleich. Olivia Prauss von context YELLOWS kümmert sich wirklich vorbildlich. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Personalvermittler die vermittelten Personen so schön begleitet. Ich bin wirklich sehr dankbar.
Frau Prauss bleibt im regelmäßigen Austausch mit mir, sie war auch schon hier vor Ort und wir haben ein interkulturelles Abendessen organisiert. Es ist sehr hilfreich, dass sich die chinesischen Pflegekräfte mit ihren Sorgen auch an Frau Prauss wenden können, wenn sie sich nicht trauen, damit zu mir zu kommen. Dann kann sie vermitteln.
Aktuell haben zum Beispiel leider zwei Pflegefachkräfte einen der drei mündlichen Teile der Prüfung am Ende des Anerkennungskurses nicht bestanden. Nun machen wir ihnen keine Vorwürfe, sondern Mut: „Bei der Wiederholungsprüfung schaffen Sie das!“ Wir finanzieren ihnen noch einmal einen zweiwöchigen Prüfungsvorbereitungskurs und stellen sie dafür frei. Auch Frau Prauss wirkt positiv auf sie ein: „Es ist fast geschafft, jetzt konzentriert euch noch ein letztes Mal!“
Für uns hängt viel davon ab, dass sie die Wiederholungsprüfung bestehen. Denn eine dritte Chance bekommen sie nicht, der Antrag auf Anerkennung wird dann abgelehnt.
Nehmen Sie sich Zeit für die Integration der neuen Kolleg*innen aus dem Ausland! Machen Sie Ihren Mitarbeiter*innen begreiflich, dass sie in ihre eigene Zukunft investieren, wenn sie die ausländischen Pflegekräfte gut begleiten und ihnen positiv begegnen. Nur, wenn man ihnen Vertrauen schenkt, kann das Miteinander funktionieren.
Und machen Sie möglich, was irgend geht. Wir haben eine ausländische Pflegekraft, die uns kürzlich mitgeteilt hat, dass sie ihr 4-jähriges Kind nach Deutschland holen muss, weil die Betreuungssituation sich zerschlagen hat. Da können wir jetzt nicht nein sagen. Und wir müssen mitdenken: an den Kitaplatz, daran, dass die Mutter vielleicht nur noch Teilzeit arbeiten können wird, wenn das Kind hier ist. Je mehr man sich engagiert, desto mehr Dankbarkeit bekommt man zurück. Die Pflegekräfte aus China, Vietnam und anderen Ländern engagieren sich zu 100 Prozent, denn sie merken, dass es ein Geben und Nehmen ist.
Schreiten Sie streng ein, wenn Sie erleben, dass die ausländischen Pflegekräfte schlecht behandelt werden. Einheimische Mitarbeitende können manchmal wirklich grausam sein. Ich dulde es nicht, wenn jemand laut oder dominant wird. Wir haben einen so genannten „ASB-Verhaltenskodex“, der muss respektiert werden. Niemand hat es verdient, angeschrien zu werden. Wir sind alle Angestellte des Arbeiter-Samariter-Bundes und keiner kann seinen Job ohne die Hilfe der anderen machen. Darum werden hier auch alle gleich behandelt. Wir müssen uns doch gegenseitig das Leben nicht noch schwerer machen als es ist.
Interview: Maja Schäfer