Mama

„Mama, bitte lern Deutsch“, ein eindringlicher Appell und unser heutiger Buchtipp.

Für unser context YELLOWS Netzwerk ist Sprache ein zentrales Thema. Denn Sprache ist mehr als Worte: Sie ist Identität, Zugehörigkeit und ein Schlüssel zur Teilhabe – ob in Form von Unterhaltungen im Alltag und auf Arbeit oder ganz konkret, wie z.B. für die Anerkennung von Pflegekräften aus dem Ausland. Von einer spannenden Perspektive berichtet unser autobiografrischer Buchtipp: „Mama, bitte lern Deutsch“, von Tahsim Durgun.

Auf eindringliche und berührende Weise erzählt der Autor, welche zentrale Rolle Sprache in migrantischen Familien einnimmt. In der Familie von Durgun kommt hinzu, dass die Mutter nicht lesen oder schreiben kann. Deutsch spricht sie nur rudimentär, so dass sie auf Unterstützung angewiesen ist – oft durch den Autor selbst.

Neben dem Motiv der Sprache spielt Rassismus eine zentrale Rolle im Buch. Besonders ausgeleuchtet wird der Zusammenhang zwischen Sprache, Aussehen und Abwertung. In einer Episode berichtet die titelgebende Mutter, dass sie im Supermarkt Mehl in ihren mitgebrachten Einkaufstrolley lud, woraufhin sie vom Ladendetektiv als Diebin bezichtigt wurde. Mit ihrem gebrochenen Deutsch konnte sie sich nicht erklären. Auch der Sohn konnte ihr in dieser Situation nicht schützen, das Urteil war gefallen. Das Mehl blieb im Supermarkt und Mutter und Sohn gingen gedemütigt nach Hause.

Das Buch öffnet mit seiner aufrichtigen Erzählweise den Blick auf eine oft übersehene Realität in Deutschland. Einkauf, Schule, Behörden, Gesundheit – Themen, die für Muttersprachler*innen oft alltäglich erscheinen, können für Familien wie die von Tahsim Durgun Herausforderungen sein. Mit viel Witz schildet der Autor seine persönlichen Erfahrungen und erzählt uns dabei auch etwas über das Leben in Deutschland.

Der Inhalt in Kürze:
Im Zentrum des Buches steht ein Kind, Tahsim Durgun, das in Deutschland aufwächst und sich wünscht, dass seine Mutter besser Deutsch spricht. Nicht aus Scham oder Ablehnung, sondern aus dem Wunsch nach Verbindung, Verständnis und Teilhabe. Es erzählt auch von den Herausforderungen, Wünschen eines Kindes mit migrantischen Eltern in Deutschland. Das Thema „Ihr“ und „Wir“ und die Hoffnung nach Anschluss in der Gesellschaft klingen immer wieder an. Die damit verbundenen Themen sind aktueller denn je.

Das Buch berührt, weil es die Sprachbarriere nicht als bloßes Bildungsdefizit, sondern als emotionale Mauer zeigt – eine, die Nähe erschwert und das Gefühl der Entfremdung fördern kann.

Die deutsche Sprache als Brücke – oder als Barriere:
In Deutschland ist die deutsche Sprache der Schlüssel zu vielen Türen: Bildung, Beruf, Integration, Selbstbestimmung. Doch was passiert, wenn dieser Schlüssel fehlt – etwa bei Eltern, die als Erwachsene nach Deutschland kamen und nie ausreichend Deutsch gelernt haben? Für viele Kinder aus migrantischen Familien bedeutet das, ständig zu übersetzen – nicht nur Worte, sondern Welten.

Das Buch macht deutlich, wie wichtig Sprachkompetenz für das familiäre Miteinander ist. Kinder wachsen oft schneller in die neue Sprache hinein als ihre Eltern. Dieser Rollenwechsel – wenn das Kind plötzlich der Dolmetscher ist – kann belastend sein und zu einer Umkehr traditioneller Familienstrukturen führen.

Empathie statt Vorurteile:
„Mama, bitte lern Deutsch“ fordert keine Assimilation, sondern wirbt für Verständnis – auf beiden Seiten. Es geht nicht darum, Herkunftssprache und Kultur zu verdrängen. Vielmehr zeigt das Buch, dass Mehrsprachigkeit eine Bereicherung sein kann – und Menschen nicht auf ein Merkmal – wie fehlende Sprachkenntnisse zu reduzieren. Es ist ein Plädoyer für Sprachförderung, Toleranz und Offenheit, nicht nur für Kinder, sondern gerade auch für Erwachsene.

Fazit – Eine leise, aber kraftvolle Botschaft:
Das Buch ist mehr als eine persönliche Geschichte – es ist ein gesellschaftlicher Spiegel. Es ruft uns in Erinnerung, dass Integration nicht nur politisches Schlagwort ist, sondern im Alltag beginnt – oft in der Sprache, die gesprochen oder eben nicht gesprochen wird.

„Mama, bitte lern Deutsch“ ist ein Appell, genauer hinzusehen: auf Sprachbarrieren, die sich mitten in Familien auftun, und auf die stillen Wünsche von Kindern, die sich nach Verbindung sehnen – über alle sprachlichen Grenzen hinweg.

Leseempfehlung für…

  • Menschen, die sich für Integration, Bildungsgerechtigkeit und Mehrsprachigkeit interessieren
  • Pädagog:innen und Sprachförderkräfte
  • Eltern mit und ohne Migrationsgeschichte

Wer mehr über das Buch und den Autor erfahren möchte, kann hier bei der NDR Talkshow vorbeischauen.